Heide, oder: Auch ein öder Ort.

 

Eine bierernste Betrachtung



Vorgeschichte
Der Autor dieser kleinen Zuhauseseite ist, wie der geneigte Leser vielleicht erahnen mag, ein Freund der spitzen Feder. Eine Fundgrube allerlei in Wort gegossener Gemeinheiten ist die Buchreihe Öde Orte", an deren Entstehung ich einen winzigkleinen Anteil hatte. Beseelt von dem Wunsch, sich auch dergestalt schriftstellerischen Ruhm zu erschreiben, entstand der nachfolgende Text. Da die "Öden Orte" leider nicht mehr aufgelegt werden, muss halt nun die kleine Zuhauseseite für die nötige öffentliche Aufmerksamkeit sorgen.
Viel Spaß bei der Lektüre!


Vorhang

Wer bei Nennung des Namens Heide an eine beschaulich-pittoreske Landschaft südlich von Hamburg denkt, in der anmutige Schäflein daselbst den weißen Heidesand durchwandern, wird angesichts der im grauen Grauen dräuenden Kreisstadt im Hinterland der Nordsee flugs eines Schlimmeren belehrt. Wie von Riesenhand mit lockerer Geste über die Geest verteilt, ducken sich die Behausungen der Einheimischen, im folgenden auch "Dithmarscher" genannt, unter der Wucht des ewig bleifarbenen Himmels. Bleigrau auch die Gesichter der Einwohner, welche für den Uneingeweihten nicht ohne Weiteres von den in invasionstruppenstärke um die Stadt aufmarschierten Deichaffenhorden zu unterscheiden sind. Auch die Sprache der Dithmarscher, das sog. Platt, taugt nicht unbedingt als Abgrenzungsmerkmal zu oben genannter Spezies, da tut es doppelt gut, dass der Dithmarscher als maulfauler Hintersasse den Mund ohnedies lieber zum Saufen als zum Blöken öffnet. Es gilt seit Urzeiten als ausgemacht, dass in dieser Gegend die Schafe stets schöner als die Frauen sind, eine stille Weisheit, deren wahrer Kern bei näherer Betrachtung nichts an Aktualität verloren hat.


Als Gesamthauptstadt der Kreise Norder-und Süderdithmarschens seit 1970 urkundlich fassbar, verteidigt Heide zäh einen nicht existenten Ruf als Westküstenmetropole, als urbanem Zentrum mit vorgelagerter Erdölraffinerie und Weißkohlindustrie. Nicht umsonst ist der Kreis als Kohlpott Deutschlands wahrhaftig in aller Munde. Die Ausdünstungen der Raffinerie tragen auf arttypische Weise dazu bei, dass bei Westwind der Unterschied zwischen Kohleintopf und Terpentin marginal wird. Was bei Heiders sonst auf den Tisch kommt, bewegt sich zwischen Kohlpudding und Birnen-Bohnen-und Speck, respektive Grünkohl mit Schwarte und kandierten Kartoffeln oder dem unsäglichen Blutgericht "Schwarzsauer" (Swattsuer), ein Gericht aus geronnenem Schweineblut mit Essig und Schwarten, eklig, mithin kulinarische Kombinationen, die man am ehesten bei einer Kahlfrassaktion im Wohnsitzlosenmilieu vermutet. Da hilft wahrscheinlich nur, das Ganze mit einem so genannten "Gedeck" geschmacklich aufzuwerten. Wer hierbei allerdings einen wohlriechenden, frisch gebrühten und mit einem kleinen Plätzchen garnierten Becher Kaffee erwartet, sieht sich hingegen getäuscht. Im dort verwendeten Idiom verbirgt sich hinter der Vokabel "Gedeck" eine von einem Schnapsglas hochprozentigem flankierte Flasche Bier.

Das hilft zumindest ungemein bei der Verdauung.


Überhaupt bietet der Alkoholverbrauch der Heider zu mannigfachen Betrachtungen Anlass, die sich am eindringlichsten anlässlich der so genannten "Hohnbeerfeste" der Heider "Eggen" ins Gedächtnis des Betrachters förmlich einkratzen.. Als Eggen, im Rest der Republik als landwirtschaftliches Gerät mit Eisenspitzen zur Bodenbearbeitung bekannt, bezeichnet der Heider seit alten Zeiten seine Stadtteile, und wie mit einer solchen gezeichnet wirken die Gesichter der Akteure nach mehrtägigem Hohnebeergelage. Das Fest hat seinen Ursprung in der einst praktizierten, alljährlichen Neuverteilung der umliegenden Acker- und Wiesenflächen, zu deren krönendem Abschluss ein in eine Tonne eingesperrter Hahn vermittels Steinwürfen zu befreien war. Die Verwendung eines Schafs schied wegen der oben erwähnten Ähnlichkeit mit den Ureinwohnern aus. Dass das arme Federvieh, nach mehrstündigem Trommelfeuer in der Tonne seiner Aufgabe als Fruchtbarkeitssymbol nicht mehr gerecht werden kann, kümmert die Heider wenig. Das besorgen sie sowieso am liebsten selbst.
Bildrechte: Dirk Ingo Franke


Wer sich auf der B 203 von Osten her über Tellingstedt und Gaushorn (dem Horn des GAU) der Stadt nähert, wird kurz vor erreichen der Ortsgrenze den malerischen Resten der "Schanze" ansichtig. Diese Erdhügel, angelegt zur Verteidigung gegen feindliche Invasoren (....Schafe ??) wurden bis in die Mitte der Neunziger Jahre von einem renommierten Fresstempel dominiert, (O-Ton des damaligen Besitzers Herrn Sch.: "Schandhaus zur Lanze"...) ehe ein furioser Brand nach einem Saufgelage dem Platz seine stille Verschlafenheit zurückgab. Flugs unter Denkmalschutz gestellt, bietet das Gelände heute den zahlreich vorhandenen Füchsen und Hasen eine weitere Gelegenheit zum Gute-Nacht-Sagen. Es gibt derer viele. Die größte Chance, Heide wieder für sich zu vereinnahmen hatte die Natur jedoch anlässlich der großen Mandrenke (d. h. Sturmflut) im Jahre 1362. Leider wurden damals hauptsächlich die Erzfeinde der Dithmarscher, die Friesen, vom Blanken Hans heimgesucht, eine Unbedachtheit der Natur, die im weiteren Verlauf der Geschichte viele ehrbare Rittersleut´ mit dem Leben zu bezahlen hatten.


Unvergessen ist dem Heider und auch allen anderen aufrechten Dithmarschern die Schlacht von Hemmingstedt vor den Toren der Stadt, als eine Handvoll kohlpudding-gedopter Bauernbuben die Elitetruppe des holsteinischen Grafen nach mörderischem Gemetzel aus dem Lande jagte. Das war 1500. Erst rund 400 Jahre später gelang es dem Adel in Person Wilhelms des Zwoten, die Scharte wieder auszuwetzen und die Dithmarscher durch den Bau des Kaiser-Wilhelm-Kanals, heute Nord-Ostsee-Kanal, endgültig in ein Leben als Insulaner zu zwingen.

Die Heider freute das: man blieb nunmehr unter sich.


Dass bei solcherart demonstrierter Widerborstigkeit der Heider am liebsten viel leeren Platz um sich herum hat, findet seine augenscheinlichste Bestätigung im Heider Marktplatz, der, mitten in der Stadt gelegen, mit einer Größe von 4,7 Hektar (!) die Gesamtödnis der Lokalität eindringlich unterstreicht. Früher zur Verhökerung von - ja: Schafen ! gedacht, ist dieser Platz das Einzige, was den kohlsteinpflaster-durchgeschüttelten Autofahrer der Moderne mit den Segnungen der kommunalen Einbahnstrassenphilosophie versöhnt.
Ein klägliches Licht auf ebendiese Strassen werfen denn auch die trüb vor sich hinblakenden Strassenbeleuchtungskerzen, derer ganze acht Stück an der 400 Meter langen Weddingstedter Strasse vor sich hinglimmen. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als dass zur Beleuchtung der Heider Nachtszenerie mithin zwei Stück völlig ausgereicht hätten. Dem Sonnenlicht schon seit Jahrhunderten entwöhnt, empfindet es der Heider fast als körperliche Pein, übermäßigem Licht ausgesetzt zu sein, ein Gefühl, das auch den Beobachter der Eingeborenenszene recht bald beschleicht.


Diese wiederum, mit so klingenden Namen wie "Güldenzopf" oder "Butenschön" gesegnet, halten sich, aller drögen Piefigkeit und Weltabgewandtheit zum Trotz seit den Zeiten der Völkerwanderung für den eigentlichen Motor der europäischen Vereinigung. Dies illustriert exemplarisch ein Gespräch, dass dem Autor mit einem aus dem Heider Nachbarort Lunden stammenden Originaldithmarscher zu führen gestattet war.

Im Folgenden ein aus dem plattdeutschen übersetztes Gedächtnisprotokoll:

Herr S: Als die Römers so 400 nach Christus aus England abzogen, sind ja nun viele Angeln und Sachsen rüber zur Insel gefahren.
Autor: zustimmendes Nicken.
Herr S: Jo, da sind ja auch SICHER viele von der Westküste mitgegangen und sicher auch welche von Lunden! (zieht die Augenbrauen hoch).
Autor: (dämmert, wohin die Reise gehen soll.....)
Herr S (triumphierend): Jo, da kommt denn auch sicher der Name London von her, das waren denn welche von Lunden!
Autor (überrascht): Meinen Sie ?
Herr S: Jo, das kann doch ganz gut angehen!

Der vorsichtige Einwand des Autors, dass London schon unter den Römern als Londinium firmierte, als Lunden noch als Sumpf voller Frösche vor sich hinschwappte, war zwar in seiner geschichtlichen Substanz von bestechender Überzeugungskraft, gleichzeitig aber auch das Ende des angenehmen Teils der Unterhaltung. Mit kurzem Gebrumm versickerte die Unterhaltung und wahrscheinlich hatte eine jahrhundertealte Familiensaga soeben ihren Todesstoss erhalten.


Die weitaus interessanteste und dem Charakterbild des Dithmarschers perfekt entsprechende Persönlichkeit ist der Nis, mit vollem Namen Nis Puck, ein zipfelmützenbewehrter Kobold, der in der näheren und weiteren Gegend seit alters her sein Unwesen treibt. Aus Wut darüber, bei der großen Auswanderungswelle 520-580 a.D. nach dem Abschiedsgelage mit brummendem Schädel in einer Heringstonne vergessen worden zu sein, rächt sich Nis nunmehr bei den Daheimgebliebenen Nachfahren durch allerlei Unholdes. Einzig eine Schale roter Grütze, natürlich mit Butter verfeinert, verschont die Nachfahren der Auswanderer vor den Nissigkeiten des Puck und vermag ihn gnädig zu stimmen.

photo © 2004 by Tomasz Sienicki


Doch wie in jeder guten Suppe ein Haar, so findet sich auch im dunklen Marschboden Dithmarschens ein kleiner Edelstein. Dieser tritt uns in Gestalt des Heider Dichters Klaus Groth entgegen, der mit heiter-nachdenklichen Erzählungen in seinem Heimatdialekt "Platt" den Menschen und ihrer Gegend ein ganz und gar untypisches, weil freundliches Denkmal gesetzt hat. Allerdings ist es auch bei Klaus Groth nicht weiter verwunderlich, dass er die frohe Stätte seiner Kindheit, nämlich "Sein Jungsparadies" eben nicht in Heide sondern im 12 Kilometer entfernten Tellingstedt fand. Bereits in den Jahren nach 1819, Groths Geburtsjahres, war also Heide nicht unbedingt der Ort, den man als junger, fühlender Mensch mit dem Paradies assoziiert hätte. Ich darf aus eigener Anschauung hinzufügen, dass dies 1964 ff. ebenso wenig für Tellingstedt gilt.

Bleibt vielleicht nur noch, die Heider Betrachtungen mit einem Bonmot meines alten Freundes H.G. Groth abzurunden, der trotz oder wegen der Namensverwandtschaft mit jenem Dichter folgendes zur Charakterisierung der Heider dem Chronisten in die Feder diktierte: "I drink beer, I piss beer, I fuck beer!

Vorhang.


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